Zitat der Woche
In einem neuen Angebot auf unserer Homepage veröffentlichen wir hier Worte, Zitate und Gedanken zum Interreligiösen Dialog.
Zusammengestellt und z.T. übersetzt von Dr. Michael Sturm-Berger.
"… Es gibt ein Wort, das auch heute noch häufig im Zusammenhang mit religiösen Überzeugungen verwendet wird: das Wort Toleranz. Die Toleranz gegenüber unseren Brüdern konstituiert ein Minimum an Respekt, das ich nicht verurteilen kann: es ist besser, sich zu tolerieren als zu kämpfen, sich gegenseitig zu unterstützen als sich gegenseitig zu töten, weil wir nicht dasselbe denken/fühlen. Toleranz ist der erste Hinweis auf eine religiöse Haltung der Seele. Aber es ist ein so eingeschränktes Minimum, so unzureichend, dass es nur als rein negative Kondition angesehen werden kann. Tolerieren heißt sehr oft, als Prinzip zu postulieren, dass man wie man selbst im Besitz der Wahrheit ist, und sich herablässt, um anderen die notwendige Zeit zu geben, damit sie ihren Irrtum aufgeben und sich zu unseren Ideen bekehren: Wir tolerieren den Irrtum, wie wir Ignoranz tolerieren – bis sie korrigiert werde. Aber wenn Gott das ist, was ich gesagt habe, das heißt die Vereinigung, die Versöhnung, die geistige Einheit aller Vollkommenheiten – derjenigen, welche selbst ein hartnäckiges Verständnis der abstrakten Logik widersprüchlich beurteilen würde –, wie könnte eine solche Vorstellung von unserer Pflicht gegenüber anderen Menschen uns ihm näher bringen?"
(Emile Boutroux, Die Religion und die Wissenschaft, in: Weltkongressband VI, Paris 1913/16, p. 173)